Grundsatzrede des HLV-Präsidenten Wolfgang Schad anläßlich des 40. Ordentlichen HLV-Verbandstages

  28.03.2004    Verbandsnews

Ansprache des Verbandspräsidenten 40. Ordentlicher Verbandstag des Hessischen Leichtathletik-Verbandes am 27. März 2004 in Idstein/Ts. Anrede Wir stehen am Beginn eines großen Sportjahres. Olympische Spiele sind auch in der heutigen Zeit mit sich jährlich aneinanderreihenden Welt- und Europameisterschaften das Maß aller Dinge im Sport. Der Leichtathletik als Kernsportart der olympischen Bewegung wird im August/September die maximale Aufmerksamkeit sowohl der Medien als auch der Öffentlichkeit gelten. Eine Umfrage, die der DLV 2002 in Auftrag gegeben hat, führt die Leichtathletik hinter Fußball und Autorennen auf Rang drei des Fernsehinteresses bei Zuschauern. Bei Olympischen Spielen rangiert die Leichtathletik unangefochten mit 66% an der Spitze der Beliebtheitsskala. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten werden auch aus Athen ausführlich wie bei allen Welt- und Europameisterschaften berichten. Nationale Leichtathletikereignisse hingegen verschwinden schleichend vom Bildschirm – trotz des offensichtlichen Zuschauerinteresses. Die Ursachen hierfür sind vielschichtig und bedürfen sorgfältiger Analysen. Ein Grund mag in der Komplexität der Ereignisse einer Leichtathletikveranstaltung liegen. In keiner anderen Sportart fallen gleichzeitig auf engstem Raum vergleichbar viele Entscheidungen. Um eine fernsehgerechte, den Zuschauerwünschen entsprechende Präsentation gewährleisten zu können, darf auch vor neuen Ideen nicht Halt gemacht werden. Die Frage lautet: Reicht es, Zeitpläne zu verschieben und die Fehlstartregelung zu ändern? Oder muss man– wie einst von DLV-Präsident Clemens Prokop angedacht – weitreichende Regeländerungen in Betracht ziehen? Skispringen ist durch die Direktausscheidung Mann gegen Mann für den Zuschauer interessanter geworden. Gleiches gilt für die Verfolgungs- und Massenstartrennen im Biathlon oder Skilanglauf. Jene Sportarten, die zudem international erfolgreiche deutsche Athleten in ihren Reihen haben, erfreuen sich einer hohen Medienpräsenz. Dem schnellen Aufstieg im Mediengeschäft wie beim Skispringen kann allerdings bei entsprechender Erfolglosigkeit auch bald wieder der Fall folgen. Als Beispiel hierfür steht der Aufstieg und Niedergang des Tennis in der Berichterstattung. Ohne Siege gibt es jedoch auch keine Siegertypen mehr, über die gern und umfassend berichtet wird. Diese Personalisierung fällt überdies in der Leichtathletik mit ihren unterschiedlichsten Disziplinen wesentlich schwerer als im Schwimmen, Turnen oder Skifahren. Ein Stabhochspringer der Weltklasse zählt nicht gleichzeitig zu den Besten im Hammerwurf oder Hürdensprint. Eine Skiläuferin wie Maria Riesch kann hingegen an jedem Wochenende die Aufmerksamkeit auf sich ziehen – egal, ob Slalom oder Abfahrt auf dem Programm stehen. Ein wesentlicher Grund der mangelnden Medienpräsenz dürfte darüber hinaus in der Tatsache zu suchen sein, dass die deutsche Leichtathletik in den letzten Jahren kontinuierlich bei Großereignissen Leistungseinbußen zu verzeichnen hatte, obwohl Deutschland in den Nachwuchsklassen weltweit zur absoluten Spitze zählt. Zu Recht verweisen die Verantwortlichen in diesem Zusammenhang darauf, dass keine andere Sportart von vergleichbar vielen Nationen ausgeübt wird, die Konkurrenz auf allen Kontinenten zu finden ist. Natürlich muss man diesbezüglich auch das Problem der unerlaubten Leistungsmanipulation beleuchten. So manche Erfolge ausländischer Athletinnen und Athleten kommen einem spanisch um nicht zu sagen griechisch vor. Vergleicht man die Kontrollhäufigkeit der deutschen mit jener ausländischer Athletinnen und Athleten, so liegt die Diskrepanz auf der Hand. Sämtliche internationale Gremien und Institutionen müssen endlich einen gemeinsamen Weg zu einem ausgewogenen internationalen Kontrollsystem finden und diesen auch gehen, um wenigstens annähernde Chancengleichheit zu gewährleisten. Letztlich jedoch fragt niemand nach der Häufigkeit der Dopingkontrollen, sondern nur nach Platzierungen und Leistungen. Wo keine Erfolge oder Skandale vorzuweisen sind, fehlt das Fernsehen. So bedauerlich man dies auch finden mag und muss. Gravierend für die Sportverbände ist der mit dem Verlust der Medienpräsenz einhergehende Rückzug der Sponsoren. Ohne deren Unterstützung gehen Mittel zur Leistungsförderung verloren. Ein Mangel an finanzieller Förderung führt zu Leistungsverlusten der Athleten und diese wiederum zu einer Reduzierung der Fernsehpräsenz. - Ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt. Die wichtigste Frage der nächsten Jahre lautet daher: Wie schaffen wir es, das vorhandene Potential jugendlicher Leistungsträgerinnen und Leistungsträger in die Weltspitze der Männer und Frauen zu führen? Hier denke ich, haben wir eine große Aufgabe vor uns, die wir bewältigen müssen, um den Stellenwert der Leichtathletik in Deutschland wieder zu festigen und anzuheben. Die Lösung der Probleme darf dabei nicht alleine auf den Schultern des Deutschen Leichtathletik-Verbandes ausgetragen werden. Hier sind alle Landesverbände gefragt, neue Ideen einzubringen und Konzepte zu entwickeln. Der Hessische Leichtathletik-Verband hat in den letzten Jahren mit einer groß angelegten Offensive, Voraussetzungen für eine positive Entwicklung geschaffen. So konnten dank zusätzlicher Mittel des Landes Hessen weitere hauptamtliche Trainer eingestellt werden. Auch die vom DLV mitfinanzierten Trainer am Stützpunkt Frankfurt Rhein-Main, sowie neue Konzepte zur Gewinnung von Talenten, deren Förderung und intensive Betreuung, schufen die Grundlage zur Intensivierung des Leistungssports. Dass entgegen den Erfahrungen vergangener Jahre konnten nahezu alle Leistungsträger im Land gehalten werden, ist vor allem der Verdienst des im Jahr 2000 gegründeten Leichtathletik-Fördervereins Hessen ( LFH ), der konsequent die erfolgreichsten und leistungsbereiten Athleten finanziell unterstützt und berät. Mein Dank gilt an dieser Stelle dem Vorsitzender des LFH Jürgen May sowie seinem Stellvertreter Thomas Seybold. Erste Erfolge der Leistungssportoffensive können vor allem an Zahlen und Namen anschaulich festgemacht werden. So führt der Bundesstützpunkt Frankfurt Rhein-Main 2003 erstmals die Rangliste aller Leistungsstützpunkte deutschlandweit an. Hessen verbesserte sich von Position elf im Jahr 1999 auf einen hervorragenden fünften Platz in der aktuellen Rangliste aller 20 deutschen Leichtathletik-Landesverbände. Den internen deutschen Vergleich bei den U20-Europameisterschaften führt Hessens Nachwuchs sogar an. Dieses gute Ergebnis ist vor allem den U20-Europameistern Ariane Friedrich und Kamghe Gaba sowie dem dreifacher Medaillengewinner Till Helmke zu verdanken. In der nächsthöheren Altersklasse ruhen die hessischen Hoffnungen insbesondere auf den Viertelmeilern um Trainer Volker Beck wie Christian Duma, Sebastian Gatzka und Henning Kuschewitz. Bereits in der Weltspitze etabliert haben sich die beiden einzigen deutschen 70m-Hammerwerferinnen Susanne Keil und Betty Heidler, die mit einer starken Werfergruppe unter Michael Deyhle in Frankfurt trainieren. Altmeister Peter Blank empfahl sich mit einem achten Platz bei den Weltmeisterschaften und auch Irina Mikitenko scheint nach langer Verletzungspause wieder auf dem Weg nach vorne. Dass sich gegenwärtig im Trikot der LG Eintracht Frankfurt mit wenigen Ausnahmen die Spitze in der Aktivenklasse versammelt, hängt natürlich mit den Trainern, dem Umfeld mit Olympiastützpunkt und selbstverständlich mit finanziellen Aspekten zusammen. Wir müssen froh sein, mit der LG Eintracht Frankfurt wenigstens einen finanzkräftigen Verein in unserem Verbandsgebiet zu haben, um erfolgreiche Athleten in Hessen halten zu können. Daneben darf nicht verkannt werden, dass die überwiegende Mehrheit der Nachwuchshoffnungen in kleineren Vereinen hessenweit heranwächst. Hier wird von den Vereinstrainern in Zusammenarbeit mit den Verbandstrainern hervorragende Arbeit geleistet. Stellvertretend für die erfolgreiche Nachwuchsarbeit seien genannt der SV Jahn Neuhof, der mit seinen Schülern am DSMM-Endkampf teilnahm sowie der SC Steintal mit dem Deutschen Jugendhallenmeister über 400m Florian Schwalm und das LAZ Gießen mit dem Deutschen B-Jugendhallenmeister im Mehrkampf Adrian Becker. Eine Verbesserung konnte auch bei der Ausstattung mit Sportstätten erzielt werden. Die Sportanlage Frankfurt-Hahnstraße als Ersatz der dem Neubau des Frankfurter Waldstadions zum Opfer gefallenen Leichtathletikanlagen soll noch in diesem Jahr um ein Wurfhaus erweitert werden. Mit dem geplanten Ausbau des Kasseler Auestadions würde Hessen wieder über eine meisterschaftswürdige Arena verfügen. Damit verknüpfen wir nicht nur die Hoffnung, deutsche sowie internationale Titelkämpfe präsentieren zu können, sondern auch auf eine Initialzündung zur Belebung der nordhessischen Leichtathletikszene. Selbstverständlich ist das Hauptaugenmerk der Öffentlichkeit auf den Leistungssport gerichtet. Die breite Basis unserer Aktivitäten bildet aber weiterhin der Breitensport mit seinen vielfältigen Betätigungsfeldern und hohen Mitgliederzahlen. Insbesondere im Schulsport müssen Akzente und Offensiven gesetzt werden, um die Leichtathletik zurück in die Schulen zu bringen. Hier, und das sage ich sehr selbstkritisch, haben wir zu lange auf die Leichtathletik-Tradition an Schulen vertraut und keine oder zu wenige Initiativen ergriffen. Es wird immer schwerer der Konkurrenz der Trendsportarten, der die Leichtathletik vermehrt ausgesetzt ist, entgegenzuwirken. Inzwischen hat der Hessische Leichtathletik-Verband begonnen, dieses Manko aufzuarbeiten. Im letzten Jahr wurden mehrere hundert Lehrerinnen und Lehrer in Fortbildungsveranstaltungen wieder an die „Leichtathletik in der Schule“ herangeführt. Auch der DLV gibt mit seinem Projekt „Leichtathletik in Aktion“ Anregungen. Eine entsprechende Veranstaltung im Vorfeld der Deutschen Jugendmeisterschaften in Fulda zeigte die Möglichkeiten der „Schulleichtathletik“ beispielhaft auf. Das kann aber nur ein Anfang unseres gemeinsamen Bemühens sein. Wir müssen, und hier sind wir alle gefordert, weiter Konzepte entwickeln und verwirklichen um Leichtathletik als überaus attraktive Sportart den Lehrern und den Schülern wieder näher zu bringen. Der HLV geht seit dem letzten Jahr in Kooperation mit den Kreisen neue Wege, um über die Basis näheren Kontakt zu Schulen zu knüpfen und eine echte Zusammenarbeit zu verwirklichen. Aber auch die übrigen Bereiche des Breitensportes genießen in Hessen hohe Priorität. Die heute angebotene Vielfalt der Aktivitäten im breitensportlichen Bereich hat nie gekannte Ausmaße. Ob es um die Betreuung und Koordinierung der 350 Volks- und Straßenläufe mit über 166.000 Teilnehmern in Hessen geht oder um die Beratung, Aus- und Fortbildung sowie Betreuung der Lauf- und Walkingtreffs, Übungsleiterschulungen für Kinderleichtathletik oder die landesweite Auftaktveranstaltung „Run up“, überall zeigt die Breitensportabteilung des HLV hohe Kompetenz, Engagement und Fachwissen. Gerade im Breitensport müssen wir die Möglichkeiten der Mitgliederzuwächse nutzen, die hier noch lange nicht ausgereizt sind. Ich könnte mir vorstellen, dass wir in einem der nächsten Jahre die Aktion „100.000 Mitglieder“ ausrufen, um zusammen mit den Kreisen den Mitgliederbestand in sechsstellige Bereiche anzuheben. Erlauben Sie mir zum Schluß meiner Ausführungen noch den Dank an zwei Personen, die das Bild des HLV nach außen in den vergangenen Jahrzehnten geprägt haben und nunmehr aus der ersten Reihe zurücktreten möchten oder schon getreten sind. Herbert Pfeffer, seit 1989 Lehrwart des Landesverbandes, verzichtet auf eigenen Wunsch auf eine Wiederwahl. Wir wissen, dass es schwer wird sein jahrelang erfolgreiches Wirken adäquat fortzuführen und das Lehrwesen gleichzeitig neuen Erfordernissen anzupassen. Lieber Herbert, habe recht herzlichen Dank für Deine aufopferungsvolle und selbstlose Arbeit. Mit Beginn dieses Jahres gab es einen Wechsel an der Spitze des Verbandsorgans HLV-Informationen. Verantwortlich zeichnet nunmehr der ehemalige Deutsche Jugend-Vizemeister im Weitsprung Marc-André Ziegler, dem mein ausdrücklicher Dank für seine Bereitschaft zur Übernahme des Amtes gilt. Verabschieden aus dieser Funktion müssen wir Fritz Steinmetz, der nach über 15 Jahren und exakt 200 Ausgaben sein „Heftchen“ – wie er das Info selbst bezeichnete, in jüngere Hände legen wollte. Auch an dieser Stelle darf ich dir, lieber Fritz noch mal für deine überaus engagierte, kompetente und von hohem Fachwissen geprägte Tätigkeit für den Hessischen Leichtathletik-Verband danken. Fritz Steinmetz - lieber Fritz, ich darf es sagen, inzwischen 86 Jahre jung – ist ein Beispiel für uns alle. Er war noch nie ein Freund hehrer Reden, der auf die Taten anderer wartete. Fritz Steinmetz packt an, hilft mit und ist dabei jederzeit aufgeschlossen für Neues. Seiner Maxime sollten wir uns alle anschließen – zum Wohle unser Sportart. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit Wolfgang Schad

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