Hessische Trainerpersönlichkeiten – Folge 3: Thomas Weise, SSC Bad Sooden-Allendorf

  06.10.2021    HLV Sportentwicklung Trainerportrait Magazin
Als olympische Kernsportart Nummer eins wird sie immer bezeichnet – die Leichtathletik. Dennoch ist Leichtathletik auch heute noch vorrangig eine Amateursportart, die dank ehrenamtlich geführter Sportvereine mit Leben gefüllt wird. Und viele ehrenamtliche Enthusiasten helfen auch in Hessen täglich mit, die Leichtathletik in diesen besonderen Zeiten am Leben zu halten. Grund genug für den HLV, einige der Persönlichkeiten, die die hessische Leichtathletik mit ihrem Engagement seit vielen Jahren und Jahrzehnten prägen, etwas genauer vorzustellen.

 

Hört man den Namen Thomas Weise, denkt man zu allererst an Stabhochsprung. Dies war die Disziplin, die die eigene Athletenkarriere und auch die Trainerkarriere von Thomas Weise geprägt hat: Viele Jahre war Weise für den weiblichen Nachwuchs im Deutschen Leichtathletik-Verband als Nachwuchsbundestrainer verantwortlich. Und 2003 führte er Annika Becker zur Silbermedaille in dieser Disziplin bei den Weltmeisterschaften in Paris. Doch Thomas Weise ist ein absoluter Allrounder als Trainer – leistungsstarke Mehrkämpfer hat er über viele Jahre entwickelt. Und aktuell überzeugt seine Trainingsgruppe durch schnelle Zeiten im Kurzsprint und über die kurzen und langen Hürdendistanzen.

 

Herr Weise, Sie gehören zu den hessischen Leichtathletiktrainern mit besonders viel Erfahrung und Erfolgen in ganz unterschiedlichen Disziplinen. Wie haben Sie sich dieses umfangreiche Know-how angeeignet? Auf welchen eigenen Erfahrungen als Athlet konnten Sie aufbauen, und wie gestaltete sich dann Ihr Weg in die Trainerlaufbahn?

Mein fundiertes Know-how habe ich mir durch mein grundsätzliches Interesse an verschiedensten Trainingsphilosophien und dem Beobachten, wie andere Top-Trainer den Trainingsprozess gestalten, im Laufe der Jahre erarbeitet. Ein wichtiger Baustein meines Know-hows ist aber auch meine eigene 15-jährige Erfahrung als Leistungssportler im Stabhochsprung. Ich war mehrfacher Hessischer Meister mit einer Bestleistung von 5,20 Metern, obwohl ich erst mit 15 Jahren zur Leichtathletik in Baunatal gekommen bin. Während meines Diplomsportstudiums in Mainz habe ich mich innerhalb von drei Jahren von 4,10 Metern auf die Höhe von 5,20 Metern gesteigert. In der Studienzeit habe ich bei Reiner Liese (Darmstadt) trainiert und bin über den Kontakt zu 400-Meter-Hürdenläufer Harald Schmid insgesamt zehn Jahre für den TV Gelnhausen gestartet. Schon während meiner aktiven Zeit begleitete ich das Amt des HLV-Kadertrainers für den Stabhochsprung und trainierte jugendliche Mehrkämpfer. Meinen B-Trainerschein habe ich dann schon während des Studiums absolviert und hatte zu dieser Zeit schon immer Spaß daran, mein Wissen über die Leichtathletik und das Leichtathletiktraining an junge Menschen weiterzugeben, sie für die Leichtathletik und besonders den Stabhochsprung als komplexeste Disziplin der Leichtathletik zu begeistern. Diese Freude ist mir bis heute geblieben. Ein wichtiger Aspekt, der mich intensiv in meiner Art und Haltung dem Training gegenüber beeinflusst hat, war die Zusammenarbeit mit meinem großen Trainervorbild und Kollegen Herbert Czingon. Mit ihm habe ich von 1995–2014 den Stabhochsprung in Deutschland maßgeblich mitentwickelt.

Inwieweit haben Ihnen Ihre eigenen Erfahrungen als Athlet beim Einstieg in die Trainertätigkeit geholfen?

Grundlage meines Erfolgs als Trainer ist die langjährig gesammelte Erfahrung als Athlet. Erfahren zu haben, was es heißt, Leistungssport zu betreiben mit all seinen Herausforderungen, sehe ich als Basis an, auch ein sehr guter Trainer zu sein. Auch meine internationalen Kontakte durch viele Wettkämpfe und Trainingslager in Nizza (Frankreich), durch die ich mit der französischen Stabhochspringer-Elite zusammen trainieren konnte, brachten mich maßgeblich weiter. Zudem waren die Trainingsgemeinschaften mit den Mainzer Zehnkämpfern (Siggi Wentz, Jens Schulze und Holger Schmidt) während meines Studiums sehr lehrreich und steigerten mein Interesse am Mehrkampftraining. Meine A-Trainer Lizenz habe ich deswegen schließlich auch im Mehrkampf erlangt.

Mittlerweile hat es Sie ganz in den äußersten Nordosten Hessens verschlagen: An der Rhenanus-Schule Bad Sooden-Allendorf im Werra-Meißner-Kreis sind Sie Lehrer-Trainer für die Leichtathletik. Wie ergab sich dieser berufliche Weg?

Nach meinem Studium in Mainz bin ich noch zwei Jahre als Stabhochspringer bei der Sportfördergruppe in München gewesen und habe dort unter Herbert Czingon trainiert. Mein erster beruflicher Einstieg war dann 1988 am Sportamt in Gelnhausen, woran der TV Gelnhausen und der damalige HLV-Präsident Erwin Sichmann einen großen Anteil hatten, indem sie im Main-Kinzig-Kreis eine eigene Stelle am Sportamt für „Talentsichtung und Talent-Förderung“ für Leichtathletik im gesamten Kreis für mich einrichteten. Während dieser Zeit bestand aber bei mir immer noch der Wunsch, wieder in meine nordhessische Heimat zurückzukehren, und als Internatsbetreuer und Leichtathletiktrainer am Sportinternat in Bad Sooden-Allendorf bot sich im März 1989 dafür die Gelegenheit.

Neben Ihrer Tätigkeit an der Schule sind Sie seit vielen Jahren Vereinstrainer im SSC Bad Sooden-Allendorf. Dreht sich da nicht alles 24 Stunden am Tag um die Leichtathletik? Wie schaffen Sie sich Ruhephasen und „persönliche Auszeiten“ von der Leichtathletik?

Diese Frage ist berechtigt, tatsächlich dreht sich bei mir die meiste Zeit alles um die Leichtathletik, aber ich sehe meinen Beruf nicht nur als Arbeit an, sondern eher als Berufung: Ich konnte mein Hobby zum Beruf machen. Meine Familie unterstützt mich maßgeblich darin, und meine Frau begleitet mich gern auch zu den Trainingslagern und auf Meisterschaftsreisen. Zudem genieße ich es, die nordhessische Landschaft mit dem Mountainbike zu erkunden und hole mir da den Ausgleich für die kommenden Aufgaben.

Viele Jahre lang waren Sie Landestrainer für den Stabhochsprung im HLV und sogar Nachwuchs-Bundestrainer. Wie entstand Ihre Vorliebe für diese äußerst komplexe und anspruchsvolle Disziplin?

Meine ersten Kontakte zum Stabhochsprung hatte ich 1976 im Kassler Auestadion, wo ich Professor Klaus Lehnertz, den Bronzemedaillengewinner im Stabhochsprung von Tokio 1964, mit einer internationalen Stabhochspringertruppe trainieren sah. Es war unglaublich beeindruckend für mich, die Springer dort mit den Stäben sich in die Lüfte katapultieren zu sehen. Das wollte ich gern auch können, und so kam ich dann über meinen damaligen Übungsleiter Günter Batz (ACT Kassel) zum Stabhochsprung.

Mit Thomas Weise verbindet man sofort den Namen Annika Becker, die Sie viele Jahre lang betreuten. Mit ihr gemeinsam feierten Sie 2003 Ihren größten Erfolg als Trainer: Die Silbermedaille im Stabhochsprung bei den Weltmeisterschaften in Paris. In diesem Jahr erhielten Sie vom Deutschen Leichtathletik-Verband die Auszeichnung zum „Trainer des Jahres“. Wie schafft man es, nach so einem großartigen und einzigartigen Erfolgserlebnis sich weiter für das Alltagsgeschäft des Trainers zu motivieren?

Mit der Athletin Annika Becker, die ich seit ihrem 13. Lebensjahr mit Wolfgang Weber zusammen zur Weltklasseathletin aufgebaut habe, stand ich kurz davor mein Ziel, an Olympische Spielen teilzunehmen – entweder als Athlet oder auch als Trainer – zu erreichen. Der schwerwiegende Trainingsunfall von Annika Becker, der nur fünf Tage nach ihrer Verbesserung des deutschen Hallenrekords auf 4,68 Meter im Olympiajahr 2004 im Februar passierte, zerstörte Annikas und meinen Traum. Trotzdem wusste ich, dass es weitergehen würde, und in den darauffolgenden Jahren bis heute hatte und habe ich immer wieder Talente, die einen guten Schritt in die Richtung der Erfolge von Annika gegangen sind.

In diesem und im letzten Jahr beeindruckte Ihre Trainingsgruppe vor allem mit Erfolgen im Disziplinblock Sprint/Hürden: Carolin Schlung gewann Bronze über 100 Meter bei den deutschen U18-Meisterschaften; Colin Ansorge erreichte das Finale der deutschen Jugendmeisterschaften über die 400-Meter-Hürden. Wie haben Sie sich als Stabhochsprung-Spezialist die Kompetenzen für diese Disziplinen angeeignet?

Mein Interesse war es, die jungen Talente in den von ihnen bevorzugten Disziplinen voranzubringen. Diese Haltung war mir schon immer zu eigen und bestimmt meine Art, das Training gemeinsam mit den jungen Athleten und Athletinnen zu gestalten. Grundlage dafür ist aber auch, sich in andere als die einem selbst nahe liegenden Disziplinen einzuarbeiten. Das war dann mein Auftrag, und dem bin ich immer, bis heute, mit viel Motivation und Freude am Einarbeiten nachgekommen. Ich besuche Fortbildungen aller Art und pflege engen Kontakt mit den jeweiligen Disziplintrainern des HLV und DLV.

Was waren für Sie bisher Ihre schönsten Momente und Erlebnisse als Leichtathletik-Trainer?

Das waren sicher die vielen internationalen Meisterschaften in der ganzen Welt zusammen mit den erfolgreichen Stabhochspringern und Stabhochspringerinnen, aber natürlich auch die Erfolge mit Annika, mit der ich von 1997, wo sie mit 15 Jahren überraschend Junioreneuropameisterin wurde, bis 2004 jedes Jahr internationale Einsätze gemeinsam mit dem DLV hatte.

Sie betreuen vorrangig jugendliche Leistungssportler, die sich in einer für ihre Persönlichkeitsentwicklung sehr entscheidenden Phase befinden. Was möchten Sie Ihren Schützlingen für deren späteres Leben mit auf den Weg geben? Und wie meistern Sie Krisen, Probleme in Ihrer Trainingsgruppe?

Ich versuche, ihnen den Spaß am Training und auch das tolle Gefühl erfolgreich zu sein, zu vermitteln. Dazu gehören auch Niederlagen oder Verletzungen, die es gilt, wegzustecken und sich auf das nächste Ziel zu fokussieren. Ich sage oft: „Im nächsten Jahr sind wieder deutsche Meisterschaften, und dort wirst du es wieder allen zeigen können.“ Wichtig ist aber auch, die jungen Athleten zu mündigen Athleten zu erziehen, ihnen deutlich zu machen, wie wichtig es ist, den Trainingsprozess mitzugestalten, es nicht einfach geschehen zu lassen. Ein elementarer Baustein ist zudem ein Trainingsteam zu sein, in dem man sich gegenseitig unterstützt und stärkt. Das macht uns erfolgreich!

Was für eine Entwicklung streben Sie mit Ihrer aktuellen Trainingsgruppe und für den Leichtathletik-Standort Bad Sooden-Allendorf insgesamt für die nächsten Jahre an?

Die derzeitig erfolgreiche Trainingsgruppe wird vorrausichtlich 2023 mit dem Abitur den Standort Bad Sooden-Allendorf verlassen. Bis dahin möchte ich sie optimal auf eine weitere leistungssportliche Karriere vorbereiten und hoffe, dass sie ihr Potential auch danach noch weiter ausschöpfen können und der Leichtathletik weiter treu bleiben – egal, ob das in Frankfurt oder vielleicht auch Leverkusen sein wird. Für mich heißt es somit auch, in jüngeren Trainingsgruppen Talente zu finden und diese weiterzuentwickeln, damit der SSC Bad Sooden-Allendorf weiterhin in der Leichtathletikszene als kleiner, aber sehr erfolgreicher Verein vertreten sein wird.

Gibt es eine Trainingsphilosophie, ein Trainingssystem, an der / an dem Sie sich orientieren?

Meine Trainingsphilosophie lautet: „Alles zu seiner Zeit!“ Das soll heißen, ich versuche die jungen Athleten langsam an ein leistungssportliches Training heranzuführen. Dadurch möchte ich möglichst Verletzungen vermeiden, den jungen Leistungssportlern auch mental die Zeit zum Reifen geben und mir gewisse Trainingsmittel für später aufheben, um weitere Leistungssteigerungen noch im U20- oder Aktiven-Alter zu ermöglichen. Mein Trainingssystem besteht aus einem großen Anteil an eigener Erfahrung, gepaart mit neuen, teilweise auch internationalen Ansätzen, die ich durch den Besuch von Fortbildungen oder den Austausch mit alten erfahrenen Trainerkollegen pflege. Und die Grundlage meiner Philosophie ist zudem, die jungen Menschen ernst zu nehmen und ihnen zuzuhören. Nur so kann Erfolg entstehen.

 

erstellt von RS