Training in Zeiten der Corona-Krise, wir fragen David Corell (Cheftrainer Sprint im HLV) und Lars Wörner (TV Wetzlar)

  14.04.2020    Leistungssport

Für alle Beteiligten eine besondere und extreme Herausforderung. Viel Engagement, viel Kreativität und vor allem sehr viel Geduld sind gefragt. Wie sieht angesichts der aktuellen kompletten Einstellung des Trainings- und Wettkampfbetriebs in der Leichtathletik eigentlich ein Arbeitstag eines hauptamtlichen Trainers aus?

Dies erläutert David Corell, Cheftrainer Sprint im HLV und Bundesnachwuchstrainer für den männlichen Kurzsprint im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV).

Herr Corell, mit Michael Pohl und Kevin Kranz betreuen Sie zwei Sprinter, die die Olympischen Spiele 2020 in Tokio als großes sportliches Ziel vor Augen hatten. Im Nachwuchsbereich beeindruckte Antonia Dellert mit starken Sprintleistungen in der zurückliegenden Hallensaison, die einen Einzelstart bei den U20-Weltmeisterschaften nahe legten. Nun sind sowohl die Olympischen Spiele als auch die U20-Juniorenweltmeisterschaften verschoben bzw. ausgesetzt worden.

Wie  motivieren Sie da Ihre Athletinnen und Athleten?

Für die jüngeren Athleten wie Kevin, Elias, Antonia, Frieder und Daniel ist dies nicht sonderlich schwer, da sie noch am Anfang ihrer Karriere stehen und viele große Meisterschaften noch vor sich haben. Für diese Athleten geht es um eine kontinuierliche Leistungsentwicklung, um in den kommenden Jahren Bestleistungen zu erzielen. Dies ist Motivation genug.

Für Michael ist das Jahr 2020 ein sehr wichtiges Jahr; er wollte unbedingt einen Einzelstart bei den Olympischen Spielen realisieren. Da die Spiele 2020/21 sehr wahrscheinlich seine letzten und ersten Spiele sein werden, war die Enttäuschung anfangs sehr groß. Nun geht es um eine Leistungsentwicklung für das Jahr 2021.

Was kann man seit dem 16. März als Kurzsprinter eigentlich noch trainieren, wenn man keine Kunststoffbahn und keinen Kraftraum betreten darf?

Wir versuchen, so viel wie möglich zu kompensieren: Krafttraining auf Parkplätzen, Speed Endurance und Sprints am Berg, ZWL auf der Straße, Kräftigung und Mobilität jeder in Eigenregie daheim.

Ändern Sie nun Ihre langfristige Trainingskonzeption für Michael Pohl und Kevin Kranz, um rund zwölf Monate später erfolgreich an Olympischen Spielen teilnehmen zu können?

Unser Trainingssystem ist sehr flexibel und kann schnell angepasst werden. Ziel ist es aktuell, wenn möglich noch ein paar Wettkämpfe in der Freiluftsaison zu realisieren; dann über eine Hallensaison zu den Olympischen Spielen.

Welche kurz- und mittelfristige Perspektive sehen Sie in Zeiten der Corona-Pandemie für Antonia Dellert?

Antonia ist noch eine sehr junge und unfertige Athletin. Sie wird durch die kompensatorischen Einheiten am wenigsten in ihrer Leistungsentwicklung eingeschränkt. Für sie sind die Reize, welche aktuell gesetzt werden können, immer noch gut. Sollten Freiluftwettkämpfe möglich sein, wird sie dort gute Ergebnisse erzielen können.

Wie gestalten Sie aktuell die Betreuung des DLV-Nachwuchs-Bundeskaders Kurzsprint männlich, den Sie seit 2019 verantworten?

Dies gestaltet sich aktuell äußerst schwierig. Wir hatten Anfang April ein Staffeltrainingslager in Griechenland geplant, welches nun natürlich nicht stattfinden kann. Wir schweben alle in der Luft und segeln auf Sicht. Mit den Athleten bin ich im Austausch.

Und wie motivieren Sie sich eigentlich selbst?

Dies fällt mir in den letzten Tagen tatsächlich etwas schwerer, da ich gerne bestmöglich und akribisch direkt mit den Athleten im persönlichen Austausch arbeiten würde. Aber das geht aktuell wahrscheinlich jedem Trainer so.

Können Sie die Zeit, die Sie aktuell nicht im HLV-Landesleistungszentrum in der Hahnstraße verbringen, anderweitig nutzen – beispielsweise für Selbststudium, intensiveren trainingsmethodischen Austausch mit Kollegen?

Durch die völlig veränderte Situation, investiere ich deutlich mehr Zeit als zuvor für die Erstellung der individuellen Trainingspläne und die ausführlichen Online-Besprechungen mit den Athleten über eigenständig umgesetzte Trainingsprogramme. Den Rest der Zeit verbringe ich mit Selbststudium.

Und wie kreativ und erfinderisch sind aktuell die hessischen Leichtathletiktrainer, die auf Vereinsebene alles möglich machen, um die Form ihrer Sportler auf hohem Niveau zu halten?

Lars Wörner ist beim TV Wetzlar für den Sprint-, Langsprint- und Langhürdenbereich zuständig und betreut eine leistungsstarke Gruppe um die DJM-Finalistin über 400-Meter-Hürden aus 2019, Antonia Unger.

Herr Wörner, können Sie uns bitte ein wenig schildern, wie in Ihrer Gruppe der Trainingsalltag seit Mitte März aussieht?

Das Training meiner Gruppe findet leider schon seit Anfang März unter besonderen Bedingungen statt. Nachdem ich mit meiner Schule aus Südtirol vom Skifahren zurückkam, wurde allen Teilnehmern eine freiwillige Quarantäne verordnet. Außer meinen beiden Söhnen habe ich daher tatsächlich alle anderen Athleten/innen lange nicht mehr persönlich gesehen. In der Zeit meiner Quarantäne haben wir aber schon eine Reihe an medialen Hilfsmitteln angeschafft und eingesetzt. So habe ich beispielsweise allen Trainingseinheiten meiner Gruppe via FaceTime beigewohnt und konnte alles den Umständen entsprechend gut analysieren und so individuelle Feedbacks geben. Hierzu wurde im Stadion ein Tablet bzw. Handy positioniert, und ich konnte alles aus meinem Quarantänezimmer auf dem Rechner beobachten. Diese schon seinerzeit praktizierte Trainingsdurchführung kommt mir und meinen Athleten/innen auch jetzt zu Gute.

Direkt nach der Quarantäne habe ich noch ein gemeinsames Tempolauftraining im Wald anbieten können. Hier haben wir bereits die Planungen für eine bis Dato noch nicht ausgesprochene, aber zu erwartende Kontaktsperre angegangen. Danach bin ich noch schnell ins Stadion gefahren und habe für jeden Athleten ein „Paket“ geschnürt und dieses dann noch verteilt. D.h. alle haben mindestens 4 Hürden, Minihürden, Koordinationsleitern, Springseile, Minibänder und Medizinbälle zu Hause.

Zur Planung individueller Trainingseinheiten habe ich mir dann, sofern ich die örtlichen Gegebenheiten nicht sowieso kannte, von allen Athleten/innen Videos bzw. Bilder von ebenen Flächen, Höfen und Treppen auf ihren Grundstücken bzw. in näherer Umgebung senden lassen. Auf Grundlage dieser Informationen stelle ich derzeit die Trainingspläne zusammen und erhalte täglich Rückmeldung der Athleten/innen über die Durchführung der individualisierten Einheiten. Wir besprechen dann ggf. Veränderungen bzw. analysieren gemeinsam die Trainingsergebnisse.

Durch diese Maßnahmen ist es uns gelungen, den Ablauf der Trainingswoche beizubehalten. Die Zielsetzung der einzelnen Trainingstage ist auch annähernd gleich geblieben, lediglich die Inhalte und die Trainingsorte haben sich den Umständen angepasst.

In diesem Zusammenhang haben meine Athleten/innen und ich feststellen können, wie glücklich wir uns schätzen dürfen, dass wir alle sehr ländlich wohnen und somit viele Trainingsalternativen in unmittelbarer Nähe haben. Tempoläufe/ Sprinttraining auf Wald- und Feldwegen, Treppenläufe auf Omas 80-Stufentreppe, Hürdendrills im eigenen Hof bzw. auf der Straße vor der Haustür, sogar Hürdenläufe im 7er- und 8er-Rhythmus mit Hürdenabständen von etwa 16 Metern sind auf ebenen Wegen in unmittelbarer Wohnhausnähe möglich.

Zusätzlich finden aber auch immer wieder Alltagsgegenstände Einsätze im Training. Reaktivsprünge vom Wasserkasten herunter sind ebenso Trainingsalternativen wie Rhythmusläufe über Schuhkartons.

Was derzeit nicht zu realisieren ist, sind spezifische Sprints und Hürdenläufe mit Spikes. Da geht es uns aber genauso wie allen anderen.

Haben Sie überhaupt  noch Möglichkeiten, das Training ihrer Sportler zu überprüfen und zu korrigieren?

Ja, wie bereits angesprochen, nutze ich die Möglichkeit der neuen Medien und lasse mich bei den koordinativen und technisch anspruchsvolleren Trainingseinheiten entweder komplett bzw. in Teilen via FaceTime dazu schalten. Zudem erhalte ich am Abend regelmäßig Videos, Zeiten etc. der einzelnen Athleten/innen. Wir telefonieren dann, und jeder erhält so ein Feedback zur vorangegangenen Trainingseinheit.

Mit welchen Strategien halten Sie das Motivationslevel ihrer Sportler hoch, obwohl aktuell noch gar nicht klar ist, wann wieder Leichtathletik-Wettkämpfe stattfinden werden?

Ich habe meine Athleten/innen in gemeinsamen Gesprächen stets in die Trainingsplanungen mit einbezogen und profitiere daher aktuell von ihrem Vorwissen. Allen ist bewusst, dass sie ihr Leistungsniveau so lange wie möglich aufrecht halten bzw. entwickeln müssen, um dann auch ggf. ohne Meisterschaftswettkämpfe in eine neue Saisonvorbereitung gehen zu können.

Aufgrund des jungen Alters aller Athlet/innen erfolgt eine Motivation fast automatisch durch die modifizierten Trainingsinhalte und -reize, die sie derzeit fünfmal pro Woche ausführen.

Zusätzlich unterstützen die Familien ihre Töchter und Söhne ungemein. Neben Anschaffung von zusätzlichen Trainingsmaterialien trainieren Familienmitglieder teilweise sogar mit.

Der Vater von Antonia und Emilie Unger fährt bei den Tempoläufen seiner Töchter ähnlich wie ich bei den Läufen meiner Söhne Kjell und Mika mit dem Fahrrad nebenher und stoppt die Zeiten. Entsprechend ist es auch bei Stephanie Kleiber. Hier versucht sich ihr Bruder mit an den Übungen an der Koordinationsleiter, ihr Vater filmt sie bei Treppenläufen oder Bergsprints. Von Ähnlichem berichten auch Philine Kochniss und Felix Krause, die immer wieder Unterstützung von ihren Familien erfahren.

Neben dieser situationsbedingten Motivation versuche ich viel mit den jungen Sportlerinnen und Sportlern zu kommunizieren und Dinge um das Training herum sowie mögliche Szenarien der Saison zu diskutieren. Zudem achte ich darauf, dass die Trainingsinhalte abwechslungsreich für jeden Einzelnen abgestimmt sind.

Sicherlich fehlt allen das gemeinsame Training. Dieses wollen wir ab sofort mit Kräftigungs- und Mobilisationsworkouts in Videokonferenzen auffangen.

In die Karten spielt, glaube ich, derzeit bei allen Sportlerinnen und Sportlern das Wetter. Die frühlingshaften Bedingungen helfen daher zudem noch zusätzlich, das Heimtraining motiviert durchzuführen.

Werden Sie in ihrer ursprünglichen Saisonplanung Änderungen bzw. Anpassungen vornehmen, wenn die Sportanlagen wieder geöffnet sein werden?

Es wird sicherlich in einigen Bereichen Anpassungen geben müssen. Ich erwarte, wenn überhaupt, Neuterminierungen von Meisterschaften bis in den Spätsommer hinein. Zumindest halten wir noch daran fest und werden auch zusätzlich versuchen, Teilnahmen bei kleineren Wettkämpfen zu realisieren. Sobald es hierzu neue Informationen gibt und wir dies genauer planen können, werden wir den Fokus entsprechend aktualisieren und in der Feinplanung etwas umstellen.

Hoffen wir, dass wir bald wieder unter normalen Bedingungen Trainingseinheiten absolvieren können. Bis dahin bleibt uns nichts anderes übrig, als Stärken zu entwickeln und Schwächen abzubauen und vor allem darauf zu achten, gesund zu bleiben.

erstellt von Text: Robert Schieferer - Fotos: Jens Priedemuth