Hessenrekord: Pohl zieht an Armin Hary vorbei

  23.05.2016    Trainerportrait

Man muss schon ein bisschen weiter ausholen, um dem Thema gerecht zu werden. Genauer ins Jahr 1960, noch genauer: 21. Juni. 56 Jahre ist es her, dass Armin Hary auf der Aschenbahn des Stadions Letzigrund in Zürich (Schweiz) in 10,0 Sekunden einen sensationellen Weltrekord über 100 Meter aufstellte. Später abends, um 20.15 Uhr, handgestoppt, wohlgemerkt. Es war ein unglaublicher Tag für Hary, denn noch am selben Morgen wusste er nicht, ob er eine Einladung für das weltberühmte Sportfest bekommen würde. Dann kam das „Go“ für den Start - und Hary machte sich von seinem Arbeitsplatz im Kaufhof Frankfurt auf den Weg zum Flughafen. Doch die Passagiermaschinen waren allesamt ausgebucht, und so flog der Europameister und spätere Doppel-Olympiasieger in einer Transportmaschine. Und als er das 100-Meter-Rennen bei Temperaturen um 30 Grad beendet hatte, protestierte das Zielgericht und wollte die 10,0 Sekunden nicht anerkennen. Die Zeit erschien nicht glaubhaft, man sprach von einem Fehlstart, somit sei das Rennen irregulär gewesen. Erst nachdem der Leichtathletik-Fachjournalist Gustav Schwenk darauf aufmerksam machte, dass nur der Starter annullieren dürfe, wurde der Wettkampf wiederholt. Mit nur drei Teilnehmern: Hary, Jürgen Schüttler (Köln) sowie Heinz Müller (Schweiz). Hary lief nochmals 10,0 Sekunden.<ENDE/>
Die Sensationsgeschichte machte damals Schlagzeilen wie heutzutage ein möglicher Vereinswechsel des Weltmeister-Bankdrückers Mario Götze. Andere Zeiten. Doch warum ist diese Story wichtig? Weil der Saarländer Hary seinerzeit für den Fußball-Sportverein (FSV) Frankfurt startberechtigt war und seine 10,0 Sekunden seither Hessenrekord bedeuteten. Bis zum Sonntag, 22. Mai 2016. Dann lief Michael Pohl vom Wiesbadener LV (WLV) beim Meeting im Sportpark Flieden die 100 Meter in 10,24 Sekunden und zog damit - in der sogenannten ewigen deutschen Bestenliste sind für Hary 10,25 Sekunden notiert - an der 1960er Handzeitnahme vorbei. Einige Statistiker mögen nun überrascht sein, denn normalerweise beträgt der "Aufschlag" Handzeitnahme/elektronische Zeitmessung 0,24 Sekunden. Bis zu einer Laufdistanz von 300 Metern. Doch bei dem Rekordrennen von Hary vor 56 Jahren lief probehalber eine elektronische Zeitmessung mit - und die warf eben 10,25 Sekunden aus. DLV-Statistiker Eberhard Vollmer übernahm genau diese Zeit.
Pohl verbesserte jedenfalls seine nur zwei Wochen alte persönliche Bestzeit um eine Zehntel und schob sich auf Platz zwei der aktuellen DLV-Bestenliste vor. In seinem Sog steigerten sich seine Vereinskollegen Florian Daum und Nils Keßler auf 10,28 bzw. 10,49 Sekunden. "David Corell, bester Trainer der Republik", steht nun auf Facebook zu lesen.
Es war der Tag der schnellen Zeiten in der 9.000-Einwohner-Stadt im Osten von Hessen (Landkreis Fulda). Denn im B-Finale lief Mario Vogel (WLV) bei zu starkem Schiebewind (+ 2,6) 10,80 Sekunden. Noch schneller war Lukas Sandmann (ebenfalls WLV) als Sieger des U18-Finallaufs in 10,64 Sekunden (U18-EM-Norm), Zweiter wurde Lennard Wagner (LG Eintracht Frankfurt/10,91), der im Vorlauf mit 10,86 Sekunden einen neuen "Hausrekord" erzielt hatte. In der U20 startete ein Flüchtling aus dem Irak im Vorlauf außerhalb der Wertung und errreichte bei einem Rückenwind von 2,7 Meter pro Sekunde eine ausgezeichnete Zeit: Mustafa Al-Mohsen von der TG Hanau lebt seit November 2015 in Deutschland und war laut eigener Aussage im Alter von 16 Jahren Landesmeister über 100 Meter. In Flieden stoppte die Uhr bei 10,55 Sekunden.

Ein weiteres Highlight in Flieden war das 400-Meter-Rennen mit dem Sieger Constantin Schmidt (TG Obertshausen), der sich auf 46,39 Sekunden verbesserte, an die Spitze der DLV-Bestenliste setzte und sich nachhaltig für einen Staffeleinsatz bei der EM in Amsterdam empfahl. „Ich hatte aufgrund der Vorleistungen gehofft, dass er sich in diesen Bereich steigern kann“, sagte sein zufriedener Trainer Robert Schieferer. Nächster Wettkampftermin von Schmidt ist das Meeting in Regensburg (4. Juni). In seinem Sog lief auch 800-Meter-Spezialist Marc Reuther (WLV) einen persönlichen Rekord (47,77) und zeigte sich bestens vorbereitet für die anstehenden Rennen über seine Spezialdistanz.
Nun trägt das von Gerhard Reichenauer und seinem 30-köpfigen Team bestens organisierte Meeting ja den Zusatz „Hürden“, und so gab es auch über 100 Meter Hürden hervorragende Zeiten. Zum einen von hessischen Nachwuchsathletinnen, Miriam Sinning (LG Eintracht Frankfurt) und Marshella Foreshaw (Königsteiner LV) unterboten in 13,64 bzw. 13,65 die DLV-Norm für die U18-EM in Tiflis (Georgien/14. bis 17. Juli); zum anderen von Ricarda Lobe (MTG Mannheim) und Franziska Hofmann (Chemnitz). Beide waren schneller als die die DLV-Olympianorm - die Zeitmessung warf 12,89 Sekunden für Ricarda Lobe und 12,96 Sekunden für Franziska Hofmann aus.
Uwe Martin

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