Hendrik Nungeß: Deutscher Vizemeister aus dem Nichts

  31.08.2018    Leistungssport Wettkampfsport

Verdammt lange her. Vor sieben Jahren, also 2011, gewann Hendrik Nungeß im Trikot der damaligen LG Neu-Isenburg/Heusenstamm drei deutsche U18-Meisterschaften. Bei den Winterwurf- und Freiluft-Titelkämpfen im Speerwurf, seinerzeit bohrte sich das 700 Gramm schwere Gerät bei einer Saisonbestleistung von 71,68 Metern in den Rasen. Dass der Hesse mit 6.829 Punkten auch deutscher U18-Zehnkampfmeister wurde, ist mittlerweile wohl noch mehr in Vergessenheit geraten. Bis sich einige Beobachter am vergangenen Wochenende vielleicht an den Namen Nungeß erinnert haben. Denn der mittlerweile 24-Jährige wurde in Wesel mit 7.030 Punkten deutscher Vizemeister. Ja, richtig, im Zehnkampf. Was die Geschichte bemerkenswert macht, ist zudem, dass seine Karriere abweicht von jener perfekten Umfeld-Organisation, die gerne vollmundig unter Duale Karriere propagiert wird. Erleichterndes Zusammenspiel von Schule/Studium/Ausbildung und Sport, ermöglicht von Sportfördergruppen bei der Polizei oder der Bundeswehr - Fehlanzeige. Nungeß gehört zu einer immer kleiner werdenden Gruppe, die sich für ein Regelstudium (Maschinenbau in Darmstadt) und Leistungssport entschieden haben. Mit allen Konsequenzen und Härten.

Fünf, sechs Trainingseinheiten sind es pro Woche bei Coach Stephen Wirth in Darmstadt, zu der Übungsgruppe gehören auch Sven Dunkel (DM-Vierter U23) und Felix Bornhofen (U20/beide ASC Darmstadt). Nungeß, der in Darmstadt wohnt und für den TV Neu-Isenburg startet, spricht von einem „Gesamtpaket“, manchmal leide das Studium, manchmal der Sport. Er muss in regelmäßigen Abständen Kompromisse machen. „Aber solange es funktioniert, mache ich beides.“ Und natürlich „leistungsorientiert“. Im Fokus stehe sein Studium.  

In Wesel hat er sich für weitere Leistungssteigerungen empfohlen, beim Blick auf seine Stärken und Schwächen wird deutlich, woran er arbeiten muss. Daumen hoch für alle Würfe und Stöße (Kugel: 14,55 Meter, Diskus: 47,76 Meter, Speer: 68,48 Meter), konkurrenzfähig sind Hochsprung (1,91 Meter) und Stabhochsprung (4,30 Meter), im Rahmen seiner individuellen Möglichkeiten die 100 Meter (11,97 Sekunden) und der Weitsprung (6,45 Meter). Über 110 Meter Hürden (16,93 Sekunden), 400 (54,86 Sekunden) und 1.500 Meter (4:57,50 Minuten) dürfte noch Potential schlummern. Nach einer angemessenen Ruhephase („Ich habe noch immer Muskelkater) will Nungeß im Wintertraining „die Läufe durchprügeln“. Er habe schon Lust, „weiter in den 7.000er Bereich reinzustechen“.

Der Hesse war auch in der U20-Jugend mit dem Speer (65,76 Meter) und im Zehnkampf (6.952 Punkte) erfolgreich, seine Speerwurf-Bestleistung bei den Männern (73,24 Meter) datiert aus dem Jahr 2015. Dass er sich letztlich dem Zehnkampf widmete, sei ein Mix aus Schulterproblemen und dem Wunsch nach mehr Abwechslung im Training gewesen. Die Entscheidung, es ernsthaft im Wettkampf zu probieren, sei jedoch erst im Frühjahr gefallen. Und letztlich im Sommer konkret geworden, nachdem er die Speerwurf-Qualifikation für die DM in Nürnberg verpasste. Zuvor hatte er Mitte Mai bei den hessischen Mehrkampf-Meisterschaften in Darmstadt wegen einer Oberschenkelverletzung nicht starten können. Für die Mehrkampf-DM qualifizierte sich Nungeß bei den baden-württembergischen Meisterschaften in Weingarten mit rund 6.500 Punkten. „Und dann rechnet man immer ein wenig herum. Ziel für die DM waren 6.800 bis 6.900 Punkte und eine Top-8-Platzierung.“ Dass es letztlich eine Medaille wurde, ist auch dem Umstand anzurechnen, dass die erste und zweite Reihe der deutschen Zehnkämpfer nicht am Start gewesen ist. Nungeß weiß seine Leistung natürlich einzusortieren, es schmälert aber nicht seinen persönlichen Erfolg. „Mehr als 7.000 Punkte waren eine positive Überraschung.“

Und wer ein bisschen recherchiert, fördert noch eine ganz andere Punktzahl zutage. Nämlich 7.542 Punkte, erzielt am 7./8. Mai 2015 bei einem Wettkampf in San Angelo im US-Bundesstaat Texas. Nungeß besuchte damals im Rahmen eines Sportstipendiums für drei Semester eine Universität in der Nähe von Dallas, war für Umweltwissenschaften eingeschrieben. Einige seiner persönlichen Rekorde stammen aus dieser Zeit. Leider ist der erwähnte Zehnkampf nicht bestenlistenfähig, weil vom Winde verweht. So gab es über 100 Meter (11,48 Sekunden) einen Zusatzschub von 3,9 Metern pro Sekunde.

erstellt von Uwe Martin / Fotos: privat

Filter

Filter zurücksetzen