Hans Baumgartner - Gedanken eines Olympiateilnehmers an die Olympiade 1972 in München

  09.09.2022    HLV 75 Jahre HLV

An Olympia teilzunehmen, wagte ich zu Beginn meiner sportlichen Laufbahn, nicht zu denken. Sag niemals nie, dieser Spruch hat sich bei meiner sportlichen Vita dann wieder einmal bestätigt. Angefangen habe ich als Hochspringer im badischen Waldshut beim dortigen TV Waldshut. In der Disziplin bin ich dann auch badischer Jugendmeister mit 1,86m geworden, noch im Straddle-Stil. Erst der Kontakt nach Heppenheim zu Hansjörg Holzamer hat mir die Augen geöffnet, welches Potential in mir steckte. Ab diesem Zeitpunkt fing ich an größere Erfolge zu denken.

1971 dann der erste internationale Erfolg mit dem Gewinn der europäischen Hallenmeisterschaft in Sofia mit 8,12m im Weitsprung.

Und dann 1972 die Teilnahme an der Olympiade 1972. Mit meinen zuvor gesprungenen 8,16m in Lüdenscheid zählte ich auf jeden Fall zu den Endkampfkandidaten, das wusste ich. An mehr habe ich natürlich im Stillen gedacht. An der Eröffnungsfeier nahm ich nicht teil, um mich nicht unnötig abzulenken. Wir besuchten für 2-3 Tage das olympische Dorf und lernten das Umfeld kennen. Neu für mich war die Atmosphäre im olympischen Dorf mit den vielen Athleten aus den verschiedensten Sportarten und Disziplinen, aus vielen mir teils fremden Ländern. Da wurde mir klar, dass allein die Teilnahme an olympischen Spielen, neben der völkerverbindenden Wirkung, auch eine wichtige persönliche Bereicherung war, die ich mir zuvor nicht vorstellen konnte. Ebenfalls neu waren neben der ausgezeichneten Mensa mit gefühlten 5 Sternen, im Vergleich zur Mensa an der damaligen Fachhochschule in Darmstadt, auch die vielfältigen Ablenkungsangebote wie zum Beispiel computergesteuerte Autorennen in einer Sitz-Konsole. Für den Technikfreak in mir eine fantastische Sache, die ich zuvor nie gesehen hatte. An diesen Plätzen, an denen man sich traf wurde sich ausgetauscht, gespielt und es wurde Musik gemacht. Musik von Athleten z.B. aus Brasilien. Das war eine Stimmung, die ich dieser Form nicht kannte, und die mich faszinierte. Nach Kenntnis und Wertung der vielen Ablenkungsangebote für meinen wichtigen Wettkampf haben Hansjörg und ich beschlossen wieder nach Heppenheim zu fahren, um uns in aller Ruhe vorzubereiten. Das war auch gut so.

Dann am 5.9.1972: das für alle völlig überraschende Attentat auf die jüdischen Sportfreunde und damit auch auf die olympische Idee.

Mein spontaner Gedanke war damals- so das wars jetzt- und eine Ohnmacht und Hilflosigkeit machte sich in mir breit. Wie kann man sowas machen! Warum? Mit diesem Attentat konnte ich mir nicht vorstellen, dass die Olympische Spiele mit diesem Makel des Attentats weitergehen könnten. Die politischen Hintergründe habe ich als damals naiv, an das Gute im Menschen denkender Mensch, nicht ganz begriffen. Und dann ein paar Tage später die Worte von Avery Brundage „The games must go on“. Im Nachhinein die einzig richtige Entscheidung, auf dem möglichen Szenario, dass mit der Aufgabe der olympischen Spiele die Attentäter ihr Ziel erreicht hätten. Ja mit dieser Entscheidung bin ich dann mit Hansjörg wieder nach München ins olympische Dorf gefahren zur finalen Vorbereitung auf meinen Wettkampf. Die Fahrt dahin war natürlich geprägt von dem terroristischen Anschlag und den vielen toten Menschen. Gefühle wie- Ist das richtig was du jetzt da machst? - kamen auf. Mit der intensiven Vorbereitung in München wurden so langsam die fragenden Zweifel an der Richtigkeit des Tuns immer kleiner. Hinzu kam noch eine Halsentzündung, mit der ich immer wieder zu kämpfen hatte. Mit dieser gedanklichen Gemengelage verbunden mit dem Streben nach sportlicher Höchstleistung kam ich doch erstaunlich gut zurecht. Das Motto war: Gut trainieren, gut erholen mit Physiotherapie und schlafen, gute Ernährung ohne Alkohol und gute Gedanken. Mit diesem Motto konnte ich mich sehr gut auf den Wettkampf mit Quali und Endkampf. Dass ich die Quali nicht packe, war für mich überhaupt keine Frage.

Dann die Quali am 8.9.1972, 7,98m im ersten Versuch und damit die geforderten 7,80m für den Endkampf erreicht. Zuvor hatte in meiner Gruppe Randy Williams in der Quali im ersten Versuch 8,34m gesprungen und damit bereits ein Ausrufzeichen gesetzt. In der 2. Gruppe sprang Preston Carrington dann noch 8,22m, aber erst im 3. Versuch. Angst vor großen Namen durfte man da nicht haben, die hatte ich auch nicht. Igor Ter-Ovanesyan aus Armenien, der allerdings mit 7,77m die Quali nicht schaffte. Gregorz Cybulski aus Polen, der in der Quali 8,01m sprang. Arnie Robinson aus USA, der in München die Bronzemedaille gewann und 4 Jahre später in Montreal Olympiasieger wurde. Joshua Owusu aus Ghana.

Dann am 9.9.1972 der Endkampf mit 12 Teilnehmern. Randy Williams gleich im 1. Versuch 8,24m, danach kein Sprung mehr über 7,77m. Er hat sich, wie er später sagte, einen Oberschenkel- Muskel verletzt.

Ich selbst startete mit einem Fehlversuch. Dann im 3. Versuch die 8,18m Bestleistung und das bei den olympischen Spielen. Im 5. Versuch steigerte sich Arnie Robinson auf 8,03m. Das Endergebnis lautete:

Goldmedaille Randy Williams 8,24 m

Silbermedaille Hans Baumgartner 8,18 m

Bronzemedaille Arnie Robinson 8,03 m

An dieser Reihenfolge hat sich dann bis zum Schluss nichts mehr geändert. Natürlich hat es mich gewurmt, dass ich die 8,24m nicht knacken konnte, denn im 6. Versuch setzte ich alles auf eine Karte und erreichte noch 8,05m. Damit war ich der einzige Springer mit zwei 8-Meter-Sprüngen. Die darauffolgende Siegerehrung mit drei Flaggen, 2-mal die amerikanische und dazwischen die deutsche Flagge war sehr ergreifend für mich, denn es hat lange gedauert bis ich begriffen hatte, was ich geleistet hatte. Das Publikum hat sicher alle Athleten ordentlich gepusht. Wenn ein Athlet dran war, war es meist mucksmäuschenstill im Stadion, es sei denn ein anderer, meist Laufwettbewerb, war zeitgleich. Der Beifall im Stadion danach, war nicht enden wollend.

Der Empfang in der Heimatstadt Heppenheim war für mich überwältigend, denn der ganze Markplatz in Heppenheim war voll. Die Anteilnahme der Bevölkerung an meinem Erfolg hat mich sehr beeindruckt und geehrt.

erstellt von Hans Baumgartner